Wenn Ablehnung wehtut, als ginge die Welt unter

RSD, Trauma und die stille Wunde der Hochsensibilität

Von Anita Slowig

 

Ein nicht geantwortetes „Wie geht’s dir?“
Ein flüchtiger Blick, ein verunsichernder Tonfall –
Und plötzlich ist da dieser Schmerz.

Tiefer, als es der Anlass vermuten lässt.
Echter, als du ihn erklären kannst.
Manchmal lähmend. Manchmal brennend.

Was du fühlst, hat einen Namen: RSD – Rejection Sensitive Dysphoria.
Ein Phänomen, das viele neurodivergente Menschen – besonders mit ADHS oder AuDHD – betrifft. Und das eng verwoben ist mit frühen Bindungserfahrungen, Trauma und der tiefen Sehnsucht nach Verbundenheit.

 

Was ist RSD?

 

RSD steht für Rejection Sensitive Dysphoria, was sich übersetzen lässt als „Zurückweisungs-sensible Schmerzreaktion“.
Es beschreibt eine extreme emotionale Reaktion auf tatsächliche oder nur vermutete Ablehnung, Kritik oder Zurückweisung – manchmal reicht schon der bloße Gedanke, jemand könnte schlecht über einen denken.

RSD ist keine offizielle Diagnose, sondern ein klinisch gut beobachtetes Phänomen. Und für Betroffene ist es sehr real.

 

Die neurobiologische Perspektive

 

Menschen mit ADHS haben eine veränderte Reizverarbeitung im limbischen System (emotionale Bewertung) und im präfrontalen Kortex (Regulation, Impulskontrolle).
So kann es passieren, dass:

  • ein neutraler Blick als abwertend empfunden wird,
  • eine vergessene Nachricht wie Liebesentzug wirkt,
  • oder ein sanfter Hinweis wie ein Urteil ins Herz schneidet.

Das Gehirn schlägt Alarm, lange bevor der Verstand eingreifen kann.

 

Die emotionale Realität

 

RSD fühlt sich oft so an:

  • „Ich bin zu viel / zu sensibel.“
  • „Ich bin nicht genug.“
  • „Ich habe alles falsch gemacht.“
  • „Ich will mich zurückziehen und niemandem mehr zur Last fallen.“

Diese Gefühle sind keine Einbildung. Sie sind tief verankert – oft verbunden mit intensiver Scham, Selbstverwerfung und einem brennenden Wunsch, „nicht mehr stören zu wollen“.

 

RSD im Alltag

 

RSD kann sich zeigen als:

  • Rückzug nach einem harmlosen Gespräch.
  • Verstummen / Angst, sich mitzuteilen – aus Furcht, missverstanden oder abgelehnt zu werden.
  • Übermäßige / Vorsorgliche Entschuldigungen für vermeintliche Fehler.
  • Perfektionismus aus Angst vor Kritik.
  • Tiefe Scham nach kleinsten Konflikten.

Soziale Situationen werden zur Daueranspannung.
Und wer sich einmal zu viel fühlt, zieht sich lieber zurück, als sich zu zeigen.

 

RSD ist keine Schwäche – sondern ein Schutzsystem

 

Viele Expert:innen sehen RSD als Ausdruck einer tiefen Sensibilität für soziale Sicherheit.
Es ist keine „Empfindlichkeit“, sondern eine Überlebensstrategie deines Nervensystems.
Ein System, das gelernt hat: Ablehnung kann gefährlich sein.

RSD ist verwandt mit:

  • Fawn response (Überanpassung),
  • Masking (das Anpassen an äußere Erwartungen),
  • People Pleasing,
  • und einem tiefen Bedürfnis nach echter, sicherer Verbindung.

 

Was helfen kann

 

  1. Radikale Selbstannahme

Nicht „Was stimmt nicht mit mir?“ –
sondern: „Was will hier gesehen und gehalten werden?“

  1. Somatische Regulation

Der Körper braucht Halt. Z. B. durch:

  • Hand aufs Herz
  • bewusster Atem
  • Singen, Tönen
  • Schreiben, Ausschütteln
  1. Selbstmitgefühls-Praxis

Nicht Disziplin, sondern Zuwendung.
„Ich sehe dich. Du bist nicht allein.“
Das Nervensystem darf lernen: Ich bin sicher – auch jetzt.

  1. Sprache & sichere Beziehungen

RSD reagiert stark auf Tonfall, Kontext, Blickkontakt.
Darum wirken achtsame Räume, wie ich sie z. B. in meinen HerzRäumen schaffe, so heilsam. Hier ist kein Urteil – sondern echtes Willkommen.

  1. Die Angst benennen

„Ich merke, ich habe Angst, zu viel / zu empfindlich zu sein.“
Solche Sätze öffnen oft das, was RSD verhindern will:
ehrlichen, echten Kontakt.

 

Wie Trauma & RSD zusammenhängen

 

  1. Frühkindliche Prägung

Wer als Kind Ablehnung, Isolation oder sogar Gewalt erfahren hat, verknüpft Beziehung mit Gefahr.
Das Nervensystem lernt:

  • Bindung = unsicher
  • Kritik = Bedrohung
  • Rückzug = sicherer

Später reichen kleinste Reize – und der Körper reagiert wie damals: mit Angst, Scham, Fluchtimpuls.

  1. ADHS + Trauma = doppelter Sturm

ADHS / AuDHD bringen ohnehin Reizoffenheit und emotionale Intensität mit.
Wenn noch Trauma hinzukommt, potenziert sich die Sensibilität – besonders im sozialen Bereich.

 Die Amygdala (Alarmzentrum) feuert schneller.
 Die Insula (Selbstwahrnehmung, Empathie) reagiert überempfindlich.
️ Die Reaktion kommt oft wie ein emotionaler Flashback.

 

Neurobiologische Hoffnung: Heilung ist möglich

 

Langjährige Achtsamkeits- und Mitgefühlspraxis – wie ich sie praktiziere und vermittle – verändert das Gehirn messbar:

  • Die Amygdala wird weniger reaktiv.
  • Der präfrontale Kortex kann besser regulieren.
  • Die Insula wird aktiver – du kannst dich selbst früher wahrnehmen und halten.

Damit schenkst du deinem System neue Referenzerfahrungen:

  • sichere Bindung
  • Räume für authentisches Sein
  • Mitgefühl – nicht als Technik, sondern als Haltung

Was früher getriggert hat, darf heute weicher werden.

 

Ein persönlicher Gedanke

 

Wenn ich zurückdenke, insbesondere an die ungesunden Beziehungen, die ich damals geführt habe, erinnere ich, dass ich sehr intensiv / körperlich reagiert habe. Das war kein Defekt –
es war eine kluge Antwort meines Körpers auf eine unsichere Welt.

Dass ich heute deutlich gelassener bin, ist kein Zufall –
es ist das Ergebnis meines Weges. Meiner inneren Arbeit. Meiner Selbstzuwendung.

Ich habe mein System nicht „geheilt“ im Sinne von perfekt gemacht –
ich habe diese intensiven Zustände bezeugt, gehalten, neu verbunden.

Das ist die wahre Transformation.

Und das wünsche ich auch dir, von Herzen sehr.

 

Mein / dein neues Narrativ

 

„Ich bin nicht mehr das verletzte Kind von damals.
Ich bin der Mensch, der gelernt hat, sich selbst zu halten.“

 

Und wenn du dich mal wieder verirrst in alten Reaktionen:

Halte inne.
Atme.
Sprich mit deinem Inneren:
„Ich weiß, du willst mich schützen. Aber heute ist es anders. Ich bin für dich da.“

 

Ein poetischer Satz zum Schluss

 

Was mein Körper erinnert,
darf heute in meinem Herzen weich werden.

Ich bin kein brennendes Kind mehr.
Ich bin das Feuer, das wärmt.

Herzensgrüße,
deine Anita

 

 

 

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