Die Falle der „weiblichen Energie“

– Warum feine Frauen in spirituelle Rollenklischees tappen

(eine Fortsetzung des letzten Artikel aus der Klartext-Serie)

 

Die Sehnsucht nach Balance – und was sie in uns auslöst

 

Es klingt erst einmal harmlos. Heilsam sogar: „Ich will mehr in meine weibliche Energie kommen.“ Ein Satz, den ich früher selbst geglaubt habe. Wieder und wieder gehört, gelesen, mir selbst gesagt – wie ein Mantra, das mir suggerierte: Etwas stimmt nicht mit mir.

Heute erkenne ich: Dieses Mantra war keine Medizin, sondern ein Echo – eines unsichtbaren Defizits, das mir eingeredet wurde. Und das vielen feinen, wachen Frauen da draußen genauso geht.

Denn wer sich nach Verbundenheit sehnt, nach Weichheit, Tiefe, nach einem Gegenpol zur überdrehten Außenwelt – läuft Gefahr, in ein neues Korsett zu schlüpfen. Eines mit Blütenranken, Klangschalen – und sehr alten Mustern in neuem Gewand.

 

Woher kommt dieses Narrativ eigentlich?

 

Die Idee, dass wir zwischen „männlicher“ und „weiblicher“ Energie balancieren müssen, ist keine uralte Wahrheit – sondern ein Konstrukt. Und zwar eines, das aus unterschiedlichen Quellen stammt:

  • New Age Spiritualität & Archetypenlehre (z. B. C. G. Jung, David Deida): Hier wurden männlich und weiblich als Gegensätze beschrieben – aktiv vs. passiv, rational vs. intuitiv, klar vs. weich.
  • Taoismus & Tantra – westlich verkürzt: Yin und Yang wurden in der Übertragung oft zu Gender-Zuschreibungen, statt als dynamische Prinzipien verstanden.
  • Reaktion auf das Patriarchat: Um der Härte des Systems etwas entgegenzusetzen, wurde „das Weibliche“ idealisiert – aber oft in einer romantisierten, passiven Form.
  • Coaching- & Persönlichkeitsentwicklungsmarkt: Hier wurde das Ganze zur Marke. „Weibliche Energie“ wurde ein Verkaufsargument: für Kurse, Retreats, Coaching-Programme. Emotionalisiert, vermarktet – und selten hinterfragt.

Das Ergebnis: Eine neue Rolle, die sich anfühlt wie Befreiung – aber oft nur eine andere Form der Anpassung ist.

 

Warum gerade sensible und wache Frauen darauf anspringen

 

Weil sie spüren, dass etwas fehlt. Weil sie mit den klassischen Rollen nie richtig resoniert haben – aber auch keine wirkliche Alternative kannten. Weil sie sich nach Tiefe sehnen. Nach einer Sprache für das, was zart ist, kraftvoll, intuitiv, verbunden.

Und weil sie gelernt haben, sich selbst infrage zu stellen, statt die Konzepte zu hinterfragen.

Wer zu lange angepasst war, sucht oft unbewusst nach einer heilsamen Rolle – und findet manchmal nur eine neue Maske.

Diese Maske kann sich anfühlen wie Zugehörigkeit. Wie Spiritualität. Wie Zuhause. Bis wir merken: Auch hier soll ich wieder etwas „werden“, statt einfach nur sein zu dürfen.

 

Was wirklich fehlt – und was uns befreit

 

Was wir brauchen, ist nicht mehr Weiblichkeit im esoterischen Sinn – sondern mehr Menschlichkeit. Mehr Herz. Mehr Wahrheit. Mehr Verbundenheit.

Die alten buddhistischen Herzensqualitäten – Metta, Karuna, Mudita, Upekkha – zeigen genau das: Liebende Güte, Mitgefühl, Mitfreude und Gleichmut kennen kein Geschlecht. Auch die Paramitas – Großzügigkeit, Ethik, Geduld, Tatkraft, Sammlung, Weisheit – sind nicht „weiblich“ oder „männlich“.

Sie sind menschlich. Und genau das macht sie so kraftvoll.

Wahre Selbstermächtigung entsteht nicht durch eine spirituelle Rolle – sondern durch die Rückverbindung mit dem, was in dir lebendig ist.

Das kann wild sein oder weich. Klar oder zweifelnd. Still oder laut. Es ist nie falsch. Es ist nur deins.

 

Einladung zum echten Erinnern

 

In meinen Herzräumen ist Platz für diese Rückverbindung. Für alle, die keine Etiketten mehr suchen, sondern Echtheit. Für alle, die zu lange funktioniert haben – im Beruf, in Beziehungen, in spirituellen Systemen.

Wenn du spürst, dass du keine Rolle mehr erfüllen willst – sondern dich ganz leben möchtest – dann bist du nicht falsch. Du bist auf dem Weg zurück zu dir.

Und du bist nicht allein.

 

Die Kraft der weiblichen Wut – Erinnerung und Aufbruch

 

Es ist kein Zufall, dass dieses Thema Wut in mir weckt. Nicht die blinde, verletzende Wut – sondern eine kraftvolle, klare Wut, die aufstehen will. Für Wahrheit. Für Gleichstellung. Für echte Freiheit.

Ich spüre, wie in mir etwas spricht, das älter ist als mein eigenes Leben. Eine Art Ruf – aus der Tiefe, von denen, die vor mir kamen. Von Frauen, die nicht reden durften. Nicht widersprechen. Nicht sich selbst gehören.

Diese Wut will nicht spalten. Sie will heilen, was verschwiegen wurde. Sie will die Rollen sprengen, die uns kleinhalten – auch im spirituellen Gewand.

Vielleicht ist es Zeit, dass wir nicht mehr versuchen, „in unsere weibliche Energie zu kommen“ – sondern dass wir endlich in unsere Wahrheit kommen.

 

Herzlichst,

deine Anita

 

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