Mein/e Liebe/r,
in ein paar Tagen ist Weihnachten. Passend dazu mag ich heute eine besondere Geschichte mit Dir teilen, nämlich die Geschichte vom feinen Herzen.
Es war einmal ein feines Herzchen,
das lebte sein langweiliges Herzen-Leben und tat so ziemlich alles, um nicht großartig aufzufallen. Wenn es nur nach ihm gegangen wäre, hätte es sich die meiste Zeit unter einem großen unscheinbaren Stein verkrochen. Gut geschützt unter diesem Stein wäre es dort seinen beiden Lieblingsbeschäftigungen nachgegangen: nämlich Tagträumen oder traurige Lieder singen. Die aber nur ganz ganz leise, so dass es bloß kein anderer hört.
Da das aber nicht ging – also sich den ganzen Tag unter einem Stein zu verkriechen – lebte das Herzchen ein Leben, dass von einem Durchschnittsherzen erwartet wurde. Und so machte es brav seine 97.920 Schläge am Tag. Genau genommen waren es keine Schläge, sondern es war vielmehr eine Art rhythmisches Zucken, ein Zusammenziehen. Manchmal waren es ein paar Zuckungen mehr, immer dann, wenn das Herz aufgeregt war. Selten aber waren es weniger.
Tag um Tag, Jahr um Jahr vergingen. Und während das feine Herz so seine täglichen Zuckungen wie ein zuverlässiger Automat abarbeitete, wurde es … ein wenig müde und …. ein bisschen traurig. Ohne, dass es wirklich wusste, warum.
Aber, so dachte es sich, na gut, ich bin ja auch nicht mehr ein soo junges Herz. Vielleicht ist das auch einfach so und diese Müdigkeit und Traurigkeit kommt so mit der Zeit. Und außerdem muss ich auch gar nicht wie so ein junges Reh freudig durch die Gegend springen – obwohl es ein schöner Gedanke wäre. Aber ach: nicht weiter schlimm.
Eines Tages aber, drehte sich der Wind. Ganz plötzlich. Mit einem Mal gab es viele unvorhergesehen Ereignisse, und das feine Herz wusste gar nicht so recht, wie ihm geschah. So musste es z.B. anderen Herzen dabei zusehen, wie sie immer mehr Kraft und Freude verloren; wie sie immer mehr verblassten und irgendwann ganz aufhörten zu schlagen und starben.
Das Mitzuerleben, fühlte sich für das feine Herz so an, als würde es jeden Moment auseinanderbrechen. Es waren sehr viele Dinge, die das feine Herz erlebte. Vielleicht waren es sogar zu viele Dinge in zu kurzer Zeit, die es erlebte, was es immer schwerer und trauriger werden ließ. Zudem zog es sich in der Begegnung mit anderen nicht ganz so freundlichen Herzen Verletzungen zu, die unschöne Narben zurückließen und für die sich das feine Herz ziemlich schämte.
Inmitten des blassen HerzenAlltags, traf es auf andere Herzchen, denen es ähnlich erging. Das war sehr tröstlich. Diese Herzen kamen wie gerufen. Sie erzählen davon, wie sie sich einst aufgemacht haben, um ihren ganz eigenen Weg zu gehen. Das erinnerte das feine Herz an Erzählungen von Herzen, die eine Pilgerreise unternahmen.
Inspiriert von den Erzählungen entschied das feine Herz sich auch auf den Weg zu machen. Dieser Weg war ein Weg der Suche. Doch wonach genau es suchen müsste, dass wusste das Herzchen nicht. Noch nicht. Es fühlte nur den unmissverständlichen Drang sich aufzumachen und loszugehen.
Bevor es losging, legte sich das feine Herz zur Sicherheit eine Blech-Rüstung an. So eine, wie man sie aus alten Ritterfilmen kannte. Diese Rüstung sollte das feine Herz schützen, damit die gerade heilenden Narben nicht wieder aufplatzen und es sich keine weiteren Schrammen zuzog.
Doch mit der Zeit machte die Rüstung dem feinen Herzen zu schaffen, denn sie wog sie schwer auf ihm. Zudem lies die Rüstung nur wenige Wärme und Liebe hindurch, was zufolge hatte, dass das Herz mit der Zeit auch immer mehr von seiner leuchtenden Freude und Farbe verlor.
Das das feine Herz auf seinem Weg immer blasser wurde und immer weniger leuchtete hatte es natürlich selbst nicht sehen können. Es war ein anderes, liebes Herz, dass offensichtlich durch die Rüstung hindurchsehen konnte, hatte es darauf aufmerksam gemacht. Das wiederum machte das feine Herz noch trauriger als es schon war.
So hatte es sich das nicht vorgestellt. Es dachte an die alten, blassen und traurigen Herzen, die aufgehört hatten zu schlagen. Und genau so wollte es doch niemals werden. Blass, traurig und freudlos.
Inmitten der Enttäuschung über die eigene Entwicklung erkannte das feine Herz, dass es keine andere Wahl hatte, als die Situation so zu akzeptieren, wie sie ist. Irgendwann hatte es mal von einem anderen, sehr weisen Herzen gehört, dass nur wenn wir aus dem Widerstand herausgehen und die Situation so akzeptieren, wie sie ist, Heilung entstehen kann. Und genau das war es doch, was das feine Herz wollte; wonach es sich gesehnt hatte: Heil-Werden. Wieder ganz werden. Wieder leuchten. Wieder voller leuchtender Farben sein. Wieder leicht sein.
Von dem Tag an, wo das feine Herz sich entschied zu akzeptieren, von da an ging es weiter und weiter und weiter … auf seinem selbstgewählten Weg. Es machte nach wie vor brav seine 97.920 Zuckungen am Tag.
Eines nachts aber, sollte sich dies ändern. Ein guter Freund des feinen Herzens, das ihm sonst immer äußerst zuverlässig das Signal gab, wann die nächste Zuckung anstand, fiel aus unerklärlichen Gründen aus. Wo war er hin? Schlief er etwa? Das war ziemlich merkwürdig und machte dem feinen Herzen ein wenig Angst. Und je länger es dauerte, bis das erhoffte Signal kam, desto unheimlicher wurde es.
Langsam, aber sicher wurde das feine Herz nervös. Und da! Plötzlich war der gute Freund wieder da! Na endlich! Doch das Signal, dass er nun dem Herzchen gab war komplett anders. Nicht so ruhig, wie sonst. Das Signal war sehr viel lauter, wie mahnender Donnerschlag! Als wenn der gute Freund sich damit absichtlich die volle Aufmerksamkeit des feinen Herzen sichern wollte.
„Mein lieber Freund, Du hast mir vielleicht einen Schrecken eingejagt!“ dachte das feine Herzchen. Doch ehe es sich versah, kam der nächste Donnerschlag. Das feine Herz erschrak schon wieder und zuckte gleich zwei Mal zusammen. Wie bei einem Gewitter, kam noch ein dritter Donnerschlag und noch ein vierter!
„Hey, was ist denn los mit Dir?!“, rief das feine Herz. „Du bringst mich ja komplett durcheinander!!!“ Das feine Herz war irritiert und verstand die Welt nicht mehr. Wieso um Himmels Willen war alles außer Takt geraten? Warum passiert mir das? Und Was hatte das für einen Sinn?
Dieser unregelmäßige Wechsel zwischen dem aufmerksamen Warten auf das nächste Signal und dem sich erschrecken, weil das nächste Signal wie ein Donnerschlag daher kam, machte das feine Herz ängstlich und zusätzlich müde.
Die aufkommenden Ängste legten sich wie enge Schnüre zusätzlich um die bereits enge Rüstung, die das Herz ja eigentlich vor weiteren Verletzungen schützen sollte. Wie soll es nun weitergehen? Dachte es. Es war verunsichert. Doch dann erinnerte es sich an seinen Entschluss und machte sich wieder los, weiter auf den Weg.
Unterwegs traf es viele andere Herzen. Einige erzählten davon, dass es ihnen in der Vergangenheit ähnlich erging, doch zwischenzeitlich ginge es ihnen schon sehr viel besser. Sie teilten ihre wertvollen Erfahrungen und brachten dem feinen Herzen u.a. die Kunst der Achtsamkeit und der Mediation bei. Das Herzchen nahm die Ratschläge dieser weisen Herzen an und fokussierte sich von nun an mehr auf seinen inneren Raum und auf die Ruhe zwischen den unregelmäßigen Zuckungen.
Darüber hinaus erinnerte sich das feine Herz an die schönen Momente, in denen es ganz in seinem Element Liebe war und spürte die Liebe in sich. Das war ein wundervolles Gefühl. Seit langem, mal wieder. Jedes Mal, wenn das Herz in dieser schönen Erinnerung badete, spürte es die Wärme in sich aufsteigen und es hatte das Gefühl, dass die Rüstung ein Stück zu eng geworden ist.
Diese Übungen sind toll, dachte sich das feine Herz. Es macht was mit mir. Es verändert mich. Irgendwie fühle ich mich nicht mehr ganz so traurig und schwer, wie früher. Ja, ich fühle mich sogar ein bisschen …. leichter? Die positiven Erfahrungen bestärkten das Herz darin, die Dinge, die es von den weisen Herzen gelernt hatte weiter zu praktizieren.
Auch die Tatsache, dass es nach wie vor unregelmäßige Signale in Form von Donnerschlägen von seinem guten Freund erhielt, akzeptierte das Herz. Es war fein damit. Denn es wusste ja, die Akzeptanz ist der erste Schritt, damit sich etwas ändern kann. Solange es an dem Widerstand festhielte, würde sich nie etwas ändern. Und vertraute darauf es: dass es sich irgendwann, vielleicht noch nicht morgen oder übermorgen, aber irgendwann würde es sich wieder normalisieren.
In diesem Vertrauen machte sich das feine Herz weiter auf seinem Weg. Und plötzlich war sie wieder zurück, diese kindliche Neugier und Vorfreude auf alles, was kommt. Unterwegs traf es wieder andere, neue Herzen. Dieses Mal waren es welche, denen es deutlich schlechter zu gehen schien. Sie waren sehr, sehr blass und hatten auch einige Narben. Einige von ihnen liefen gar nicht mehr oder wollten es offenbar auch nicht.
Diese Herzen waren, so kam es dem feinen Herzen vor, wie ein Spiegelbild. Im Grundgenommen waren sie schön, ja sogar wunderschön. Auch und insbesondere durch ihre Narben. Doch auch sie sahen es nicht. Sie waren wie Schmetterlinge, die ihre eigenen Flügel nicht sehen. So konnten diese Herzen weder ihre eigene Schönheit noch das Potential erkennen, dass in ihnen schlummerte.
Einige von ihnen schienen sehr verzweifelt zu sein. Denn egal, wie sehr das feine Herz versuchte die anderen blassen Herzen wieder aufzubauen, wie sehr er ihnen auch zusprach und sie ermutigte mit ihm zu kommen, sie wollten es nicht. Sie wollten es nicht hören, geschweige denn glauben. Sie hatten sich an ihre Situation gewöhnt und sich mit ihr arrangiert. Sie lagen dort am Boden, blass, schwer und traurig und sie wollten nicht mehr weiter.
Das feine Herz sah es und konnte nicht anderes, als mit ihnen zu fühlen. Denn es gab eine Zeit, in der es ihm ähnlich erging. Eine Zeit, in der es auf unerklärliche Art und Weise auch nicht offen war, für das was andere Herzen ihm rieten. Eine Zeit, in der das feine Herz wie gelähmt war vor Schmerz. Aber dies änderte sich irgendwann.
Immer mehr erinnerte es sich an das, was die weisen Herzen ihm einst zugetragen haben und konnte auch stetig mehr davon umsetzen. Und genau das wünsche es auch den anderen Herzen so sehr. Mögen auch sie die Kraft in sich wiederfinden und sich auf ihren Weg machen. Einen Weg, der sie immer mehr befreien würde. Das feine Herz vertraute darauf und wünschte den anderen Herzen nur das Beste für ihren Weg.
Und dann wurde dem feinen Herzen plötzlich etwas klar: Ohne das sein guter Freund die Signale nicht zurückgehalten, bzw. ihm die verzögerten Signale mit donnerartiger Wucht geschickt hätte, wäre das feine Herz niemals so aufmerksam geworden. So… wachsam und achtsam. Der gute Freund hatte ihm mit seinem merkwürdigen, unzuverlässigen und angsteinflößenden Verhalten lediglich einen Freundschaftsdienst erweisen wollen. Verrückt.
Diese Erkenntnis schenkte dem feinen Herzen tiefen Frieden. Und mit diesem Frieden kam die Freude zurück und der gute Freund fand auch wieder in seinen natürlichen Rhythmus zurück.
Das feine Herz muss schon eine ganz Weile schweigsam lächelnd vor den anderen, blassen Herzen gestanden haben, bis ein kleines zartes Herz aus der Menge aufstand und auf das feine Herz zukam. Dieses kleine zarte Herz hatte als einziges aufmerksam zugehört und es war irgendwie fasziniert von den wohlwollenden Worten und milden Lächeln des feinen Herzens. Es nahm die ermutigenden Worte in sich auf und es schien, als wenn sich das kleine zarte Herz nach und nach wieder mit rot-leuchtender Farbe füllte.
Es lächelte das feine Herz an und sagte dann zu ihm: „Das ist alles sehr inspirierend, was Du erzählst. ber meinst Du nicht, dass es so langsam an der Zeit ist, dass auch Du Deine schöne Ritter-Rüstung ablegst? Die brauchst Du doch gar nicht mehr. Und außerdem ist sie Dir viel zu klein, so wie es aussieht. Du Herz bist so schön und bunt, wie ein Schmetterling und es ist ein Jammer, dass Du Dich nicht komplett zeigst. Danke für Deine berührenden Worte. Sie haben mir sehr geholfen und mir meine Augen und Ohren geöffnet. Du solltest unbedingt weiterziehen und es zu Deinem Beruf machen. Es gibt noch viele Menschen, die das hören wollen, was Du zu sagen hast.“
Das feine Herz war sehr gerührt von den Worten und mit einem Mal spürte es, wie eng die Rüstung in der Zwischenzeit geworden ist. Es nahm die Rüstung ab und es war, als wenn es sich zum ersten Mal in seinem Leben so richtig frei bewegen konnte. Es fühlte sich so viel jünger und voller Energie. So erfüllt und verbunden, mit all den anderen weisen Herzen. Da war Freude und Neugier. Und Liebe. Ja, dachte das feine Herz, ich sollte weiterziehen, um anderen Herzen von meiner Geschichte zu erzählen. Um das weiterzugeben, was ich von den weisen Herzen gelernt haben. Ja, das mach ich. Versprochen.
Das feine Herz bedankte sich bei dem kleinen zarten Herzen und zog hinaus ins Weite. Aus der Ferne sah man es freudvoll zucken und so ein bisschen sah es aus, wie ein junges Reh, dass über die Felder springt.
Ich hoffe, dass Dich die Geschichte vom feinen Herzen inspiriert. Jetzt bleibt mir nur noch Dir ein wundervolles, entspanntes, kuscheliges, zauberhaftes Weihnachtsfest zu wünschen.
Pass gut auf Dich und Dein Herzchen auf und komm behütet durch den Tag.
Deine Anita
P.S.: Gern lese ich Dir die Geschichte vom feinen Herzen vor. Lehne Dich zurück und genieße. Von Herzen ganz viel Freude beim Lauschen.